Ostrogoto [de]

Das Drahtseil

Während im Val Susa das Gefecht tobt, zwischen den zur Verteidigung der Freien Republik von Maddalena herbeigeeilten Freiwilligen und den zur Aufzwingung der Sklavenrepublik von Italien entsendeten Leibwächtern, zerstörte in Rom ein nächtlicher Brand den neuen Steuerungssaal des Bahnhofs von Tiburtina (ein TAV-Knotenpunkt) und setzte den nationalen Eisenbahnverkehr ausser Betrieb. Die Vermutung, dass es zwischen den Protesten im Tal und Brandstiftung in der Stadt eine Verbindung geben könnte, war sofort da, ebenso wie auch die Empörung und die Dementierungen des „NoTav-Volkes“ durch den Mund ihrer öffentlichen Vertreter. Verspätet und wenig überzeugend die institutionellen Beteuerungen über die wahrscheinlichen natürlichen Gründe des Ereignis: ein Kurzschluss, eher schwerlich eine Sabotage, vielleicht der Kollateraleffekt eines einfachen Kupferdiebstahls.

Doch dieser Verdacht, der sich – halb zwischen Hoffnung und Angst – während Stunden erweckte und noch immer nicht völlig zerstreut ist, sagt viel aus. Über die Angst der Autoritäten, sowie über die Möglichkeiten der Aktion. Das, was sie in Schrecken versetzt, ist das, was uns begeistert: die Möglichkeit, dass der Kampf gegen den TAV das abgelegenepiemontesische Tal verlässt, um im ganzen Land auszubrechen. Dass er sich schliesslich von den unerträglichen bürgerprotestlerischen (.: cittadiniste) Litaneien losreisst, um die Waffe der Sabotage zu ergreifen. Ein schrecklicher und gleichzeitig wunderbarer Gedanke. Und das ist nicht nur möglich, es ist auch einfach. Kein Videoüberwachungssystem, keine Patrouillenerhöhung wird jemals die Funktionsfähigkeit eines Bahnnetzes garantieren können, das sich über zehntausende Kilometer erstreckt. Es ist nicht nötig, auf einen Zug aufzuspringen und in den Wagen der Politik zu steigen, um zu versuchen, die Hoch Geschwindigkeit zu stoppen. Es ist nicht nötig, den im Übrigen republikanischen Strategen eine grosszügige, ergebene und schweigende Hilfsarbeitskraft zu sein.

Der Brand von Rom flammte fünfzehn Stunden lang, bis er ausgelöscht wurde. Doch die verbliebene Asche weist noch immer widerständische Glut auf. In anderen Teilen Italiens brennen TAV-Baustellen, aber es brennen auch Lastwagen einer Firma, die in die Arbeiten in Chiomonte (Val Susa) involviert ist. Und siehe da, wie die Feuerwehrleute von überall her mit ihren Wasserschläuchen herbeikommen, jene, die Schaum verspritzen und jene, die Pressecommuniqués schmieden. Und es sind vor allem diese letzteren – die Wortführer, die Vertreter, die Führer –, die sich am meisten darum kümmern, Wasser aufs Feuer zu werfen. Vorgestern haben sie das Feuer von Florenz missbilligt, Gestern haben sie sich ab jenem von Rom entsetzt, Heute verurteilen sie jenes von Susa. Aber was, ist es nicht so, dass unter dem edlen und grossmütigen „NoTAV Volk“ alle Gemüter, alle Methoden, alle Haltungen nebeneinander auskommen, in gegenseitigem Respekt der Differenzen? Waren nicht alle in ihrem Innern willkommen, sowohl jene, die Steine gen Himmel, wie jene, die Flüche gen Erde werfen?

Gewiss nicht. Alles Rhetorik, alles Propaganda. Die verurteilenden Bespuckungen der Flammen der Sabotageakte zeigen es auf. Sie sind allzu eigentümlich, um den Beifall der Massen zu verdienen. Auch die gegenwärtigen Ovationen gegenüber den Alpen-Jägern (ital.: alpini), die im Übrigen Soldaten sind, die ansonsten die Baustelle von Chiomonte überwachten, zeigen es auf. Willkommen scheint im Val Susa einzig das schmutzige nebeneinander Auskommen – Frucht des voneinander Profitierens – zwischen jenen, die bekräftigen, dass eine andere Politik möglich ist, dass eine andere Republik möglich ist, dass ein anderer Staat möglich ist, und jenen, die das Ende aller Politik, aller Republiken, aller Staaten herbeiwünschen müssten. Ein dialektisches Spiel, dass abwechselnd von taktischen Abkommen und duldsamen Seufzern, von geschlossenen Augen und verstopften Nasen, von linguistischen Akrobatiken und gelegentlichem Vergessen ausgetragen wird, in Hinsicht auf die finale Abrechnung. Lüge und Heuchelei, mit im frühzeitig verdorrten Herzen die Hoffnung, so gerissen geworden zu sein, dass man es sogar schaffen könnte, lukrative Geschäfte mit Bankiers zu machen.

Die Verdächte über den Brand von Rom, sowie die Gewissheiten über jene der Region von Modena, von Florenz und Susa, sind da, um anzukündigen, dass diese schmutzige politische Freundschaft, die die Eintracht da gewährt, wo es nur Konflikt geben kann, gut vom einen auf den anderen Moment zerbrechen könnte.

 

[27/7/11]